„Kaiser, König, Edelmann, Bürger, Bauer, Bettelmann“ lautet ein bekannter Abzählreim für Kinder, der mir ab und zu durch den Kopf geht, wenn ich für Menschen aus ganz unterschiedlichen Kontexten dolmetsche. Der Abzählreim sollte einst die Unterschiede der klassischen Ständegesellschaft betonen, doch mich erinnert er an die Bandbreite der Menschen, mit denen ich bei meiner Arbeit zu tun habe. Sei es bei der Begleitung einer internationalen Delegation oder bei einem Beratungsgespräch für einen verurteilten Straftäter.

Es gehört zu meinem Berufsethos, unterschiedslos und ohne Ansehen der Person Inhalte zu übertragen, ohne zu bewerten oder in die Kommunikation einzugreifen. Der soziale Status meines Gegenübers spielt bei meiner Arbeit keine Rolle. Auch weltanschauliche und politische Ansichten haben keine Auswirkung auf meine Verdolmetschung.

In Zeiten einer wachsenden Polarisierung der Diskurse wird Neutralität jedoch manchmal zu einer Gratwanderung. Dazu ist ein hohes Maß an Zurückhaltung und Toleranz wichtig, um Meinungs- und Redefreiheit zu wahren. Ich behalte es mir allerdings vor, in Ausnahmefällen auch Aufträge von vornherein abzulehnen, die mit meinen Wertvorstellungen nicht vereinbar sind. Ein offener Diskurs ohne Redeverbote ist mir wichtig – ein respektvoller Umgang miteinander auch.